
Elsa Montell-Saanio, Weberin aus Lappland
Als ich 1968/69 in Finnland Weben studierte, war an meiner Webschule, dem Fredrika Wetterhoffin Opettajaopisto (Fredrika Wetterhoff Lehrerseminar, kurz „Wetterhoff“) in Hämeenlinna, die Beschäftigung mit der Volkskunst der Weberei stark ausgeprägt. Die Studierenden wurden gebeten, Muster von Webarbeiten aus ihrer Region mitzubringen, um die Farben und die Webtechnik zu studieren. Anschließend ging es darum, dieses Gestaltungsprinzip für Wohntextilien oder Mode neu zu nutzen. Viele der Textilkünstler in Finnland, die ich kennenlernte, nutzten diese Verbindung zur Vergangenheit. In Kombination mit der Liebe zur Natur und einer fast japanischen Vorliebe für Schlichtheit entstanden so wunderbare Textilien! Für mich als Webstudentin, war es nahezu ideal die schöne finnische Natur als Grundlage für meine Arbeit und die alten Techniken als praktische Lerngrundlage zu nutzen.
In dieser Zeit lernte ich die Weberin und Künstlerin Elsa Montell-Saanio (1926–2019) aus Lappland kennen, die eine Technik namens „Raanu“ erneuert hatte, ein Gewebe aus Wolle, das typischerweise mit bunten Streifen in symmetrischem Muster verziert ist. Beim Studium der verschiedenen Raanu-Webarten im Norden Finnlands fand Elsa Montell-Saanio ihr Medium. Die charakteristischen Merkmale ihrer Raanus waren allesamt Geweben aus Wolle mit geflochtenen Quasten in den oberen Ecken, während die unteren Ecken mit einer Reihe kleiner Zöpfe abgeschlossen sind. Diese Details zeigen, dass ein Raanu einen Anfang und ein Ende hat; es wird nicht meterweise hergestellt oder verkauft.
Nach ihrem Abschluss an der Zentralschule für Kunstgewerbe in Helsinki zogen Elsa und ihr Ehemann, der Fotograf Matti Saanio, nach Oikarainen in der Gemeinde Rovaniemi, um auf ihrem ehemaligen Bauernhof zu leben. 1955 gründete Elsa Montell-Saanio das Webstudio Lapin Raanu, beschäftigte lokale Weber und schuf preisgekrönte Kunstwerke und Wohntextilien. Ihre Designs erneuerten die Tradition der Raanu-Weberei in Finnland über ihr Atelier in Lappland hinaus. Sie ist besonders für ihren Umgang mit Farben bekannt. Sie färbte Garnproben und entwickelte eine charakteristische Farbverlaufs-Webtechnik, um ihre Ideen umzusetzen, die oft auf der Landschaft Lapplands basieren. Basierend auf den Skizzen und detaillierten Anweisungen der Künstlerin fertigten die erfahrenen Weberinnen in ihrem Atelier über drei Jahrzehnte hinweg schöne Raanu-Textilien.
Die Raanu-Textilien von Elsa Montell-Saanio erfreuten sich in den 1960er und 1970er Jahren in Finnland ungeahnter Beliebtheit. Internationale Bekanntheit erlangte sie auf der 11. Mailänder Triennale 1957, der Weltausstellung 1958 in Brüssel und der Textilausstellung in Sacramento, Kalifornien. Das Webstudio Lapin Raanu und das Galeriegebäude Raanupirtti wurden zu beliebten Touristenattraktionen in der Umgebung von Rovaniemi. Jedes Jahr kamen Tausende von Touristen und viele prominente Besucher hierher.
Traditionelle Raanu-Textilien wurden in Lappland erstmals im 16. Jahrhundert erwähnt, die ältesten erhaltenen Teppiche stammen aus dem 18. Jahrhundert. Sie wurden in ganz Finnland gewebt. Die schussbetonte, gerippte Oberfläche ist in Leinwandbindung mit einem relativ weit auseinander liegenden Kettfaden aus Baumwolle, Leinen oder Wolle und einem dichten Schussfaden aus einfädigem Wollgarn gewebt, das fest geschlagen ist. In Lappland konzentrierte sich die Weberei jahrhundertelang hauptsächlich auf Raanu-Textilien. In Finnisch-Lappland gibt es drei verschiedene Arten traditioneller Raanus: aus der samischen Region im Norden Lapplands den rein wollenen lappischen Raanu – gewebt in einer prähistorischen Technik auf einem vertikalen Webstuhl – und aus Südlappland den symmetrisch gestreiften Hinterbottnischen Raanu sowie den Halbflor-Teppich, der Raanu mit der Rya-Technik kombiniert.
Raanu-Garn wurde traditionell aus den eigenen Schafen selbst gesponnen und mit natürlichen Farbstoffen aus lokalen Pilzen und Pflanzen gefärbt. In Hinterbotten wurden seit dem frühen 19. Jahrhundert auch importierte natürliche Farbstoffe wie Krapp und Indigo verwendet. Synthetische Farbstoffe veränderten seit dem frühen 20. Jahrhundert die Ästhetik von Textilien, sodass die Kunst des Färbens mit natürlichen Farbstoffen fast in Vergessenheit geriet. Das Interesse am Färben mit natürlichen Farbstoffen erlebte jedoch spätestens in den 1960er Jahren ein Comeback, als „Wetterhoff“ einen hervorragenden Lehrer für natürliche Farbstoffe hatte, bei dem ich die Muster, die ich vor so langer Zeit angefertigt habe, noch immer schätze!
Traditionell wurden Raanu-Textilien entweder als Decke im Schlitten oder Bett, als Vorhang oder Wandbehang in Nomadenhäusern oder sogar als Segel verwendet. Alte Raanus wurden sorgfältig ausgebessert und geflickt, da sie mehrere Generationen überdauern mussten. Ab dem 20. Jahrhundert ersetzten Industriedecken und maschinell gefertigte Teppiche die Raanus als funktionales Raumtextil. Seitdem wurden Raanus als Dekoration an die Wand gehängt und sind besser erhalten.
Elsas Ehemann, der Fotograf Matti Saanio (1925–2006), dokumentierte das Leben im Norden und die tägliche Arbeit in der Weberei Lapin Raanu. Mit Reportagen in finnischen Zeitschriften und Zeitungen wurde er als Lappland-Fotograf bekannt. Oft stellte er seine Fotografien zusammen mit Elsas Textilien aus. Seine Dunkelkammer befand sich im Keller der Weberei Lapin Raanu neben dem Färbestudio seiner Frau.
Elsas Arbeit begann, als sie mit einem neuen Design im Studio ankam. Die Skizze konnte eine sehr kleine Notiz sein, die sie auf Reisen gemacht hatte, oder ein aufwändigeres, großformatiges Gemälde oder eine Zeichnung. Gemeinsam stellten die Künstlerin und die Weber die ersten Muster des neuen Designs her, erprobten Farbkombinationen und Streifenrhythmen. Als Elsa Montell-Saanio mit dem Muster zufrieden war, erstellte sie detaillierte Webanweisungen, damit die Weber die Textilien selbstständig herstellen konnten.
Das Färben war ein wichtiger Teil der Produktion. Für jedes neue Raanu-Design wurden neue Garnproben gefärbt, eine Aufgabe, die Elsa selbst im Keller des Webateliers erledigte. Anfangs wurden natürliche Farbstoffe aus Pflanzen und Pilzen verwendet, doch bald wurden sie in der Produktion durch synthetische Farbstoffe ersetzt.
Ein Beispiel für die Produktentwicklung ist die Skalierung der Raanus in verschiedenen Größen. In den Anfangsjahren konzentrierte sich das Lapin Raanu Weaving Studio auf großformatige Raanus, die als Decken oder Wandbehänge in Wohnhäusern oder öffentlichen Räumen verwendet wurden. Das Raanu war aber auch ein passendes Geschenk, zum Beispiel für Staatsgäste oder Brautpaare. Der Massentourismus in Lappland brachte größere Gruppen mit Bussen nach Lappland. Sie hatten keinen Platz, um größere Textilien mit nach Hause zu nehmen. Das sogenannte Touristen-Raanu, viel kleiner, wurde in den 1970er Jahren geschaffen. Um den Maßstab des Kunstwerks zu ändern, musste das Design verkleinert, Muster neu gewebt und die Webanleitungen neu erstellt werden. Als Elsa Montell-Saanios Webereien in den 1960er und 1970er Jahren sehr populär wurden, wurden ihre kräftigen Farben und asymmetrischen Kompositionen von Amateuren und Profis vielfach kopiert. Den meisten fehlten die Fähigkeiten und Möglichkeiten zum Färben, und sie waren auf die Farbpaletten fertig gefärbter Garne beschränkt. Elsa befürchtete, ihr Wunsch, die Volkskunst zu erneuern, würde missverstanden. Deshalb kehrte sie in ihrer letzten Kollektion zu den symmetrischen Streifen traditioneller Hinterbottnischer Webereien zurück. Sie wollte junge Künstler an die Quelle der Volkstradition heranführen – nicht zum Kopieren, sondern um sich von der Qualität und Ästhetik alter Textilien inspirieren zu lassen.
2022 fand in der Galerie Valo in Rovaniemi eine Retrospektivausstellung mit dem Titel „Elsa Montell Taidekutomo Lapin Raanu – Lapin Raanu Weaving Studio“ statt, organisiert von der Universität Lappland. Die Informationen in diesem Artikel basieren auf dem Katalog (ISBN 978-952—337-343-3) dieser Ausstellung. Darüber hinaus habe ich mehrere Raanu-Webereien von Elsa auf verschiedenen Auktionen im Internet zu überraschend niedrigen Preisen gefunden. Beachten Sie jedoch, dass echte Webereien ein Etikett mit dem Titel des Werks und dem Namen „Elsa Montell-Saanio, Lapin Raanu Weaving Studio“ tragen müssen.
Beatrijs Sterk, Hannover, 27.9.2024



woven at Elsa Montell-Saanio´s „Lapin Raanu Weaving Studio“;photo Supertrampmedia

